Gerhard Fröhlich
Block: Einleitende Plenarsitzung
Ort: Hörsaal Raiffeisen, 1. Obergeschoß
Zeit: Mittwoch, 22.9.2010, 10:00-10:45
Wir konnten uns noch nie so gut informieren wie in der heutigen »Informationsgesellschaft«, heißt es. Doch digitale Technologien haben widersprüchliche Effekte: (a) Sie sind objektiv »kommunistisch«: Das Kopieren und Weiterverbreiten von Dateien ist einfach und kostengünstig, alle können im Prinzip senden, einziges knappes Gut: die menschliche Aufmerksamkeit; (b) Digitale Produkte lassen sich – unter restriktiven rechtlichen Rahmenbedingungen – effizienter als Papierprodukte kontrollieren, d.h. in ihrer Nutzung selektiv und zielgerecht einschränken (Stichwort DRM-Digital Rights Management).
Gerade weil in der »Informationsgesellschaft« Information wichtig ist, wird handlungsrelevante Information nicht automatisch freigiebig an alle verteilt. Selbst in den Wissenschaften, wissenschaftstheoretisch nicht zuletzt über öffentliche, kritische Kommunikation zwischen den ForscherInnen definiert, grassiert Informationsvorenthaltung: (a) WissenschaftlerInnen versuchen sich so vor kollegialer Kritik und Konkurrenz zu schützen; (b) externe Auftraggeber sichern sich vertraglich alle Rechte der Veröffentlichung (und verbinden damit meist das Interesse an selektiver Information); (c) WissenschaftlerInnen firmieren, obwohl an den Forschungen nicht beteiligt, gegen Honorar offiziell als AutorInnen, um Pharma-Marketingstudien einen objektiven Nimbus zu verschaffen (»Ghost-Writing«); (d) gewinnbeeinträchtigende industrieeigene Befunde werden verheimlicht (Stichwort: Vioxx).
Verschärfte »urheber«- (de facto verwertungsrechtliche) Bestimmungen schränken die Funktionstüchtigkeit von Archiven und Bibliotheken ein: Die Umstellung von Journalen auf elektronische Erscheinungsform erschwert im Closed-Access-Modus ihre Rezeption durch WissenschaftlerInnen, denn nur den NutzerInnen der jeweils eigenen Bibliothek wird gewöhnlich vertraglich der Zugriff gestattet. Dem deutschen Urheberrecht zufolge dürfen zudem digitalisierte Dokumente nur an je einem Arbeitsplatz in der Bibliothek einsehbar sein. Zugleich fordern Politiker wie Wissenschaftsmanager von Wissenschaftlerinnen gesteigerte Mobilität.
Solche Maßnahmen – und unser eigenes Engagement – könnten dazu beitragen, die Potentiale digitaler Technologien zur Ermöglichung einer offenen Gesellschaft im Sinne Sir Karl Poppers zu nutzen (und ganz nebenbei Innovation und damit wirtschaftliche Entwicklung zu fördern).
Gerhard Fröhlich, Institut für Philosophie und Wissenschaftstheorie der Johannes Kepler Universität Linz (JKU). Schwerpunkte in Lehre und Forschung: Kulturtheorie, Wissenschaftsforschung (Wissenschaftskommunikation: nicht-intendierte Effekte von Evaluation (Peer Review, Impact Faktoren), wissenschaftliches Fehlverhalten und ihre Bekämpfung), u. a. Hg. der Themenhefte »Plagiate und unethische Autorenschaften« (2/2006) und »Open Access« (5/2009) der IWP (Information: Wissenschaft und Praxis) der DGI (Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und -Praxis); Herausgeber (mit Ingo Mörth) der kulturwissenschaftlichen Open-Access-Datenbanken http://hyperbourdieu.jku.at/, http://hyperelias.jku.at/, http://hypergeertz.jku.at/; zahlreiche einschlägige Open-Access-Publikationen in den OA-Archiven E-LIS und Sammelpunkt (Wissenschaftsforschung).
Jüngste Buchpublikation: (Hg. mit Boike Rehbein) Bourdieu-Handbuch. Metzler-Verlag, Stuttgart 2009
http://www.iwp.jku.at/froehlich/
http://www.iwp.jku.at/openaccess/